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Düsseldorf, Philipshalle, 09.03.2003 (Quelle: sueddeutsche.de)
Die Jukebox-Supernova
Abschied ist kein scharfes Schwert: „Oasis“ verwalten in Düsseldorf lustlos ihr Rockstar-Dasein
Düsseldorf – Im Grunde hätte es an diesem Abend ausgereicht, vor dem Konzert in dem zu groß geratenen Mehrzweckschuhkarton Philipshalle den Bühnenhintergrund zu betrachten. Dort stand, in großen weißen Lettern auf schwarzem Grund geschrieben, nur dies eine Wort: „Exist“. Mehr braucht es nicht, um den Zustand der Band zu beschreiben, die hier später auftreten sollte, und zugleich ihre eigentliche Leistung zu würdigen – sie existiert noch. Mehr aber auch nicht.
Man hätte gar nicht bleiben und sich das Schauspiel antun müssen, das sich mit fataler Gleichförmigkeit bei jedem Konzert von Oasis wiederholt. Es ist so ähnlich wie bei Klassentreffen oder jeder anderen vergleichbaren Rückkehr an den Ort der Jugend, sei es ein konkreter wie ein Schützenfestzelt, sei es ein imaginärer wie die Traumwelt der Popmusik: Man weiß vorher schon, dass das nicht gut gehen kann. Die Jugend kommt nicht mehr zurück, unwiederbringlich ist sie verblüht, fortgeweht in Schwaden von Erinnerungen. Das eigentlich Schlimme aber ist: Ihre Unwiederbringlichkeit verursacht nicht mal mehr einen Hauch von Schmerz. Man geht dann trotzdem hin. Und bleibt doch bis zum Schluss.
Da stehen sie dann also schließlich vor dem großen Wort „Exist“, die fünf Mitglieder von Oasis. Wobei drei von ihnen eh nicht interessieren: Der Drummer Andy White und die letzten beiden Zugänge von 1999, Rhythmusgitarrist Gem Archer und Bassist Andy Bell, sind allesamt irgendwann dazugekommen, Auswechselmusikanten sind sie, aufgesprungen auf den seit 1994 voran preschenden, allerdings in den letzten Jahren ordentlich an Fahrt verlierenden Erfolgszug Oasis. Dementsprechend sind die Drei lediglich mit Fahrscheinen für die billigen Helferplätze ausgestattet. Vorne im Führerstand hocken die einander in allerherzlichster Abneigung einander verbundenen Brüder Noel und Liam Gallagher, deren explosives Verhältnis das Bestehen der Band in früheren Zeiten immer wieder infrage gestellt hat – immer nach dem Motto „Pack schlägt sich, Pack verträgt sich“. Inzwischen scheinen sie sich in einer Art trotzigem Nichtangriffspakt miteinander zu arrangieren: Viel haben der Songwriter und Leadgitarrist Noel und Sänger Liam auf der Bühne noch nie kommuniziert, aber mittlerweile haben sie es ganz drangegeben. Sie stehen einfach da. Ostentativ gelangweilt.
Die Größten, nicht die Besten
Die Nummer ist nicht neu bei Oasis. Sie gehört zum Live- Standardprozedere der Band aus Manchester. Schon im Herbst 1995, als sie im Rausch des großen Britpop-Hypes das zweite Mal durch Deutschland tourten, war ihr statisches Herumgestehe – verbunden mit dem blasierten Ins-Publikum- Geglotze von Liam Gallagher, das neben der gekrümmten Haltung vorm zu tief eingehängten Mikrofon sein Markenzeichen werden sollte – ihr wesentlichstes Stilmittel zur optischen Untermauerung ihres damals wie heute irrwitzigen Anspruchs: die größte Band der Welt zu sein. Von der besten war nur im Überschwang der frühen Zeiten mal die Rede. Früher. Vorbei.
Der entscheidende Unterschied zwischen 1995 und der Gegenwart jedoch ist, dass heute niemand mehr Angst zu haben braucht, dass Liam Gallagher, dieser vielleicht talentierteste Arschloch-Darsteller, den Cool Britannia in den 90ern hervorbrachte, einfach von der Bühne abgehen könnte. Weil ihm zum Beispiel sein Bruder gerade auf die Nerven ginge. Oder das Gesicht von jemandem in der ersten Reihe. Oder sonst was. Die Aura des Unerwarteten, des unangekündigten Ausbruchs, der jederzeit möglichen Entgleisung ist verschwunden. Doch gerade diese innere Spannung hatte Oasis-Konzerte früher zu Ereignissen gemacht. Heute ist die Band bis in ihre Titelauswahl hinein ausrechenbar: abwechselnd gibt es ein neues Lied und einen alten Hit, der berühmteste („Wonderwall“) wird ausgelassen. Und weil sich auch sonst nichts geändert hat, sind die knapp neunzig Minuten ihres Auftritts in der Philipshalle eine reine Qual: Wie immer nölt Liam Gallagher lustlos seine Texte herunter, wie immer klingt der von Noel Gallagher und Gem Archer dazu produzierte, jede musikalische Nuance zuschüttende Gitarrenbrei unsäglich matschig.
Der Ernüchterung ob der allerdings erwartbaren Ambitionslosigkeit der Live- Darbietung folgt die ebenso erwartbare Dekuvrierung des Songmaterials als bloßer Stadion-Rock. Denn was sich auf den bislang fünf Studioalben der Band zumeist hinter der Fassade opulenter Arrangement-Verzierungen verbirgt, tritt im Konzert zutage: Wie einfältig Noel Gallaghers Kompositionen in Wahrheit sind, wie kalkuliert im Hinblick auf ihre Mitgröhlbarkeit. Und obwohl man um diese Effekte sehr wohl weiß, wenn man Oasis je live hat spielen sehen, ist man doch immer wieder schockiert.
Rock’n’Roll-Star, das reicht
Hier zeigt sich letztlich auch, worum es bei den Gallaghers stets ging – und worum nicht. Etwa wenn Liam an diesem Abend in Düsseldorf wieder jene Zeile aus dem Jahr 1994 singt, die alles zusammenfasst, was er und sein Bruder je im Sinn hatten: „Tonight, I’m a rock’n’roll star.“ Die Geschichte der Gallaghers bleibt eben die simple Fabel eines sozialen Aufstiegs irischer Einwandererkinder, deren Vorstellungswelt vom Leben in der Industriebrachen- Ödnis des englischen Nordens geprägt ist. Diese hält seit jeher nur zwei Fluchtwege bereit: Fußball oder Pop. Nicht umsonst klingen Oasis in ihren besten Momenten noch immer wie bierselige Epigonen der Beatles – nur dass sie sich deren musikalischen Revolutionärsgeist nie leisten konnten.
Die Gallaghers sind längst angekommen in den Villengegenden Londons, ihre Mission ist erfüllt. Auf der Strecke bleiben musste jenes Pop-Momentum des Eroberungsfeldzuges wilder Burschen, das Oasis Mitte der 90er einmal zur größten Band der Welt (außerhalb Amerikas) machte. Nicht die darauf folgende Saturiertheit, sondern die Weigerung, ja die Unfähigkeit, sich nun mal eine neue Masche auszudenken, haben Oasis als Pop-Phänomen zugrunde gerichtet. Eine große Platte ist von dieser Band kaum mehr zu erwarten, ein großes Konzert bestimmt nicht. Auch wenn es sie in 20 Jahren noch geben wird. Dann wird man Oasis vielleicht die Grateful Dead der 20er Jahre des neuen Jahrhunderts nennen. Nur dass es bei den Gallaghers statt nach Patschuli nach Bier stinken wird.
Es werden sich schon Leute finden, die sich mit den Brüdern dann ihrer noch viel länger verblühten Jugend erinnern werden wollen. Zum Beispiel mit dieser Zeile: „Where were you when we were getting high?“ In Düsseldorf klang das dazugehörige Lied, das epochale „Champagne Supernova“ (1995), als spiele es nicht eine Live-Band – sondern eine leiernde Jukebox. Bloß das Knistern des Vinyls fehlte. Und so sangen denn alle einträchtig: „Cos all of the stars are fading away...“ Auf Wiedersehen, Oasis.
Autor: Dirk Peitz
Düsseldorf, Philipshalle, 09.03.2003 (Quelle: sueddeutsche.de)